Armes reiches Afrika

Begonnen von doccie, Mai 12, 2006, 22:43:32

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doccie

Hi ² all,

in der Presse geistert heute wieder einmal ein Artikel über das arme Afrika umher.

Wie ist es möglich, dass der sechstgrößte Öl-Exporteur weltweit (Nigeria) ansonsten mit seiner Bevölkerung in bitterer Armut lebt. Da machen natürlich solche Schlagzeilen wie hier beim Ölklau mit vielen Opfern die Weltöffentlichkeit aufmerksam.

Sollte nicht besser über andere Dinge wie z.B. die Armut und die Kurruption und die Militärtgewalt in diesen Ländern eher von der Presse verfolgt werden?

Scheint aber nicht so das Thema zu sein, mit dem man bei den Presseagenturen Geld verdienen kann.....oder liegt es an der mangelnden Sensibilität der Leserschaft im ganzen?
Grüsse von

Doccie

Doro77

#1
Hi doccie,

ja, das ist ein Problem. Ich arbeite beruflich für eine Hilfsorganisation, und wir kennen dieses Dilemma sehr genau. Erst neulich gab es auf einem Kongress eine Podiumsdiskussion zu genau dem Thema: Die Rolle der Presse. Beispielsweise ist im Moment das Thema "Hungersnot in Kenia" doch ab und zu mal in den Medien präsent. Und es ist ja auch wirklich so, dass die Leute hungern in Nordkenia und anderen Ländern Ostafrikas. Nur: Viele Hilfsorganisationen konnten das natürlich schon vor Monaten voraussehen. Wir haben ja schließlich schon Ahnung von solchen Entwicklungen. Nun wäre es natürlich ganz prima gewesen, wenn man mit Presseinformationen die Leute VOR Ausbruch solcher Katastrophen informieren könnte. Helfen Sie JETZT, eine Hungernot zu VERHINDERN. Aber die Zeitungen drucken sowas nicht. Wen interessiert eine Hungersnot, die noch nicht stattgefunden hat? Keinen Menschen, schon gar keine Zeitungsredaktion. Für die wird es erst interessant, wenn sie tausende Tote melden können. Da kann man als Hilfsorganisation Purzelbäume schlagen oder nackich aufm Tisch Czardas tanzen - das interessiert keinen, bevor das Kind nicht schon in den Brunnen gefallen ist. DANN kommen natürlich die Spenden, und das hilft uns und damit den Betroffenen natürlich - aber wäre es nicht tausenmal besser, VORHER einzugreifen?
Natürlich entwickelt man da als Organisation Systeme - wir warten selbstverständlich nicht erst ab, sondern greifen in solchen Fällen auf Rücklagen zurück. Das Geld holt man dann eben durch die Hungerbilder später wieder rein. Pervers, ist aber so. Nur erschwert das unsere Arbeit kolossal.

Genauso ist es mit dem Thema Korruption. Wir arbeiten beispielsweise viel in Kenia. Kenia an sich könnte seine Hungernden gut selber satt kriegen, wenn die Regierung nur WOLLTE. Ist es da nicht kontraproduktiv, Hilfsgüter hinzuschaffen und damit die korrupte Regierung noch in ihren Machenschaften zu unterstützen? - Ja. Die verlassen sich ja darauf. Wir können unser Geld ruhig für noble Regierungskarossen ausgeben, die Organisationen bringen ja das Futter und bauen die Schulen. - Aber: Darf man wirklich zusehen, wie die Leute verrecken? Darf man guten Gewissens sagen: Wir geben nichts hin, die müssen selber handeln? Nein! Denn den Hungernden nützt das nichts. - Das ist ein Teufelskreis. Manchmal kriegt man da schon die eine oder andere persönliche kleine Krise. Aber trotz allem ist es eine sehr schöne Arbeit, vor allem, wenn man nachhaltige Projekte fördert - Schulen, Brunnen, Selbsthilfe.

Alles richtig machen kann man ohnehin nicht. Das ist sehr komplex und schwierig alles. Aber die Presse, die berichtet wirklich teilweise kontraproduktiv. Nicht, dass man ihnen das wirklich vorwerfen könnte - die haben eben ihre eigenen Ziele und Richtlinien. Und WENN sie berichten, dann profitieren wir ja auch davon. Aber manchmal ist es schon zum Jungekriegen...
An sich richten die sich ja nur an ihrer Klientel aus. Und Leute ticken nun mal so, auch du und ich. Bert Brecht sagte mal: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Und es ist so, das merken wir auch an unseren eigenen Publikationen. Ein Foto von vielen fröhlichen schwarzen Kindern, die in ihrer neuen Buschschule lernen dürfen, ist gut und schön - Geld bringt aber nur ein Hungerbild. Das rührt die Menschen, und es wäre ja auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Aber wir rackern uns ab, den Spendern zu erklären, dass Kleiderspenden zwar gut gemeint sind, aber es doch noch VIEL besser ist, eine Handarbeitsstube für Frauen einzurichten, die die Klamotten in Äthiopien oder sonstwo SELBER nähen. Und unsere Futterpakete sind wirklich überlebenswichtig - aber an sich ist ja so einen Hilfe nicht als Dauerzustand gedacht, sondern eben als Nothilfe. Aber das Futter ist es, das das Geld einbringt - das Geld, mit dem wir arbeiten und auf das wir angewiesen sind, um helfen zu können.
Also - die Presse macht nur das, was der Leser haben will. Ein RTL-Mensch sagte mal auf die kritische Frage eines Journalisten, warum denn soviel dämliches Zeug gesendet wird, ob man sich da als Verantwortlicher nicht schlecht fühle: "er Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler."

Liebe Grüße
die Müllerstochter  :hallo:
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Reisen heisst, zurückkehren wollen - das Geringe schätzend zurückzukehren. (Verfasser unbekannt)

Rastlos

Zitat von: Doro77 am Mai 15, 2006, 09:56:43
Da kann man als Hilfsorganisation Purzelbäume schlagen oder nackich aufm Tisch Czardas tanzen
Das würde ich ja zugerne mal sehen  :icon_biggrin:

Nein, jetzt mal zum Ernst der Sache. Es ist leider wirklich so, dass nur Bilder von Katastrophen für die Medien von Interesse sind. Und um die zu bekommen, muss man leider auch warten bis die Katastrophe eingetreten ist. Traurig aber wahr  :icon_frown:

Zitat von: Doro77 am Mai 15, 2006, 09:56:43
Kenia an sich könnte seine Hungernden gut selber satt kriegen, wenn die Regierung nur WOLLTE. Ist es da nicht kontraproduktiv, Hilfsgüter hinzuschaffen und damit die korrupte Regierung noch in ihren Machenschaften zu unterstützen? - Ja. Die verlassen sich ja darauf.
Das ist exakt der gefährliche Teufelskreis. Menschen die sich darauf verlassen können, dass andere Ihnen helfen werden, werden auch nie versuchen sich selber zu helfen! Zum Glück haben dies mittlwerweile auch die Regierungen einiger Länder in Afrika erkannt und wollen scheinbar in der Zukunft keine weiteren Hilfslieferungen aus dem Ausland beziehen und sich alleine aus der Krise herausziehen. Ich bin mir sicher, dass es mit diesem Willen auch klappen kann.
Dann müsstes Du Dir aber evtl. einen anderen Job suchen  :icon_wink:

Das gleiche Prinzip herrscht ja auch in unserem ach so tollen Sozialstaat! Warum soll ein Arbeitsloser arbeiten gehen, wenn Ihm andere doch garantiert helfen und er sogar unter Umständen mehr Geld bekommen würde als wenn er arbeiten würde. Kein Wunder das wir so hoch verschuldet sind   :icon_mad:
Aber soll ja hier auch nicht in einer politischen Diskussion ausarten.
Wer rastet der rostet und es gibt einfach zu viel Schönes auf unserer Erde zu entdecken!
www.weltbummeln.de

Doro77

ZitatDann müsstes Du Dir aber evtl. einen anderen Job suchen

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.  :icon_wink: Denn dann hätten wir ne perfekte Welt.

Liebe Grüße
die Müllerstochter  :hallo:
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Rastlos

Zitat von: Doro77 am Mai 15, 2006, 11:19:33
Denn dann hätten wir ne perfekte Welt.

Wäre das nicht schön  :icon_razz:

In diesem Sinne wünsche ich Dir einen schönen Start in die Woche!
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Doro77

Danke. Dir auch! Immer wieder wird es Montag...  :icon_wink:

Und falls mein Job wirklich mal überflüssig ist, kann ich immer noch Journalist werden, um über die perfekte Welt zu berichten.  :schreiben:

Liebe Grüße
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Globetrotter

HAllo liebe Forengemeinde,

da bleiben sicher viele Fragen ungeklärt. Macht man sich das manchmal nicht zu einfach? Ist das System der Berichterstattung nicht zu ändern? Es gibt doch so viele freiberufliche Journalisten. Sind diese nicht für solche Themen zu interessieren? Sicher auch eine Aufgabe für die Entwicklungshelfer, aber nicht nur.

Eine weitere Idee wäre der Aufbau eines sanften Tourismus in diesen Ländern, der evtl. auch mit geringer Entwicklungsarbeit auf Zeit verbunden sein könnte. 

Wer hat da noch Ideen, wie man dem Prob zu Leibe rücken kann..... :birne:

....und vor allen Dingen, wie solche Konzepte in die Tat umsetzen sind. Denn eins ist sicher: je größer die Armut in den Drittländern, um so mehr wird sich der Zuzug der ärmsten Bevölkerung nach Europa mit all seinen negativen Auswirkungen für beide Seiten verstärken.
Liebe Grüsse vom

Globetrotter

Rastlos

Zitat von: globetrotter-jr am Mai 15, 2006, 15:24:15
Ist das System der Berichterstattung nicht zu ändern? Es gibt doch so viele freiberufliche Journalisten. Sind diese nicht für solche Themen zu interessieren?
Ich bin selber ja kein Journalist, aber ist es denn nicht auch bei den Freien Journalisten so, dass sie sich hauptsächlich an der Nachfrage orientieren? Was nützt es denn wenn ich einen tollen Bericht über ein schönes Thema (anstatt Katastrophe, Hungersnot, etc.) mache, diesen Bericht dann aber keine Zeitung kaufen möchte? Schließlich muss ja auch der Journalist von irgendetwas leben. Leider ist es nunmal so, dass die Menschen von Unglücken magisch angezogen werden. Wahrscheinlich weil sie dann mal für einen Augenblick aufhören können, über Ihr eigene Situation zu jammern  :icon_wink:

Man muss sich vielmehr fragen, warum die meisten Menschen zu Spenden nur bei Bildern von Not und Elend bereit sind. Wir werden doch scheinbar nur durch Schuldgefühle dazu getrieben. Zur Weihnachtszeit gilt wohl das gleich: "Oh schon wieder Weihnachten? Da spenden doch alle - selbst der blöde Karl-Otto. Na dann muss ich ja wohl auch."
Ich glaube es gibt nur wenige Leute die spenden, weil Sie Freude am Spenden haben. Ich möchte damit aber absolut nicht die Leute verurteilen, die aus dem Schuldgefühl oder der Verpflichtung heraus spenden (denn auch sie helfen damit im gleichen Maße anderen Menschen), aber dieser Umstand bringt die wohltätigen Organisationen dazu, mit negativen Bildern Werbung für die eigene Sache zu machen.

Zitat von: globetrotter-jr am Mai 15, 2006, 15:24:15
Eine weitere Idee wäre der Aufbau eines sanften Tourismus in diesen Ländern, der evtl. auch mit geringer Entwicklungsarbeit auf Zeit verbunden sein könnte.
Führt das denn nicht nur zu einer anderen Art von Abhängigkeit von den "reichen" Ländern? Ich stehe auch mehr auf dem Standpunkt, dass die Länder sich aus ihrem Hamsterrad befreien müssen und lernen müssen, sich selber zu helfen. Das bedeutet aber nicht, dass man bei Katastrophen nicht unterstützen sollte. Aber wann und in welchem Umfang ist der entscheidene Punkt, den man noch herausfinden muss.
Wer rastet der rostet und es gibt einfach zu viel Schönes auf unserer Erde zu entdecken!
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Doro77

Im Großen und ganzen hat Weltenbummler recht. Gerade die freien Journalisten müssen ihr Fähnlein nach dem Wind drehen, und selbst dann ist der Job kein Zuckerschlecken. Nur zur Info: Das ist kein "eingetragener" Beruf. Im Grunde darf sich jeder Depp "freier Journalist" schimpfen, ob man eine Ausbildung hat oder nicht. Da kann man sich vorstellen, was auf dem Markt los ist.

Zum Thema Schuldgefühle - sicher stimmt das in Ansätzen. Allerdings sind die Deutschen generell sehr, sehr spendefreudig. Ich glaube nicht, dass das nur mit Schuldgefühlen zusammenhängt. Viel spielt auch das Mitleid eine Rolle. Und das Mitleid wird eben in erster Linie angesprochen, wenn mich die großen traurigen Augen eines dünnen, verhärmten Kindes ansehen. Ich persönlich reagiere bei alten Menschen sehr emotional. Wenn ich so eine alte Frau sehe, gebrechlich, einsam, kaum was zu essen, nur Schlimmes im Leben durchgemacht - da krieg ich persönlich eine Krise nach der anderen. Bei Kindern denkt man ja immer noch - na, die haben das Leben noch vor sich, vielleicht auch eine Familie, dem helfe ich jetzt, und dann ist gut. - Aber so ein alter Mensch - was will man dem noch geben? Wärme und Geborgenheit kann man auch als Hilfsorganisation nicht schenken. Nur ein Fresspaket oder was zum Anziehen. Und wenn man dann die Freude, diese echte, tiefe Freude bei den Leuten sieht, könnte ich gleich nochmal losheulen. Aber das hat nichts mit Schuldgefühlen zu tun, glaube ich. Wenn ein Kind weint, dann ist das... schon schlimm, ja, aber irgendwie hat man doch das Gefühl, wenn ich ihm jetzt helfe, wird es bald wieder lachen. Aber wenn ein alter Mensch weint, das ist furchtbar. Finde ich. Weil man da das Gefühl hat, dass man gar nichts tun kann, dass sie ihr ganzes lebenslanges Unglück rausweinen. Und da bin ich nur voller Hilflosigkeit - und voller Mitleid.

Vielleicht ist es auch diese Hilflosigkeit, die die Menschen zum Spenden animiert. Kann ja nicht jeder nach Afrika fahren und ein Kind durchfüttern. Aber dafür sind die Organisationen ja da. Also, ich denke, es ist eine Mischung aus allem - Schuldgefühle, Mitleid, Hilflosigkeit, vielleicht auch Wut. Und bei allem spielen emotionale Bilder und Texte eine Rolle. Da zieht es einfach nicht, zu sagen: Die werden in zwei Monaten Hunger haben. JETZT müssen sie Hunger haben, damit ich in die Gänge komme und was tue. Und das weiß auch die Presse ganz genau.

Das mit dem sanften Tourismus finde ich eigentlich gut. Das hat mit "Abhängigkeit" nur bedingt was zu tun. Auch in Deutschland haben wir Gegenden, die fast ausschließlich auf Tourismus eingestellt sind. Man sagt dann gerne: Die sind vom Tourismus abhängig. Aber es ist doch auch nur eine Art des Geldverdienens, wie Industrie oder Landwirtschaft. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Und gerade viele afrikanische Länder sind absolute Dienstleistungsländer. In vielen Ländern ist es bis heute üblich, eine oder mehrere Haushaltshilfen zu haben. Einfach, weil das für die Leute eine gute Arbeit ist. Das hat gar nichts damit zu tun, dass man vielleicht denkt: Der räumt meinen Dreck weg. Das denken da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer. Es ist eine Dienstleistung, die bezahlt wird, fertig. Warum nicht? Und warum nicht dann Touristen hinbringen, die sich erholen wollen, die Schönheit des Landes genießen? Dafür muss man natürlich auch die politischen Voraussetzungen haben - dass man nicht Angst hat, im nächsten Moment in die Luft zu fliegen oder so. Und gerade das sehe ich als Problem.

LG
die Müllerstochter  :hallo:
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Rastlos

Zitat
Das mit dem sanften Tourismus finde ich eigentlich gut. Das hat mit "Abhängigkeit" nur bedingt was zu tun. Auch in Deutschland haben wir Gegenden, die fast ausschließlich auf Tourismus eingestellt sind. Man sagt dann gerne: Die sind vom Tourismus abhängig. Aber es ist doch auch nur eine Art des Geldverdienens, wie Industrie oder Landwirtschaft. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Und gerade viele afrikanische Länder sind absolute Dienstleistungsländer. Es ist eine Dienstleistung, die bezahlt wird, fertig.
So gesehen hast Du absolut recht. Es ist nichts weiter als eine Dienstleistung und die alleine hat natürlich gar nichts mit Abhängigkeit zu tun.
Was mich halt stören würde, wäre wenn diese Länder NUR vom Tourismus leben müssten bzw. könnten. Das würde in meinen Augen evtl. zu einer Abhängigkeit führen. Jetzt kann man natürlich das Argument bringen, dass manche Ländern nun mal nichts anderes zu bieten bzw. zu produzieren haben, aber das glaube ich nicht.
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